Freitagspost

Freitagspost: Immer mehr von mir

20. März 2015
“Ich möchte keine Minute mehr ohne dich sein. Keine Stunde, keinen Tag.” 
Sagte ich, dachte ich. Eine Lüge. Da war es schon vorbei, nur weiß ich das jetzt erst. 

 

Wir teilten ein Bett. Dein Kinderbett, wenn man es genau betrachtet, du warst noch fast ein Kind und ich irgendwie auch. Wenn ich da war, dann spazierten wir draußen auf den Feldern mit dem Hund, du rauchst heimlich – offiziell inoffiziell. Wie ich das liebte, die Felder und die Natur, so weit weg von der Enge daheim. 
Als ich zum ersten Mal in dein Zimmer kam, traten mir Tränen in die Augen. Das war so verrückt, es war wie ein Déjà-Vu, als wäre das eigentlich mein Zimmer. Mein Haus. Meine Familie. Denn das was du hast, hat man mir genommen. Ich bin trotzdem geblieben, auch wenn ich lieber hinausgerannt wäre. Viel zu lange geblieben. In deinem Kinderzimmer. Ein schmales Bett, ein billiger Ikea-Schrank, das Bücherregal und der Schreibtisch voll mit Schulkram. Papierkorb, Türstopper und Wäscheberge.
In deinem Zimmer, da ist jetzt immer mehr von mir. Da liegt auf dem Regal eine Zeichnung von mir, ein Foto von uns, die Brille, die ich dir zu Fasching schenkte. Manchmal stellte ich mir vor, dass es so in deinem Kopf ist. Da ist jetzt immer mehr von mir. 

 

 
“Es ist nicht weiter schlimm, sagt Hanna, “du bist noch jung. Du findest einen Neuen, das ist normal in dem Alter. Da probiert man sich eben aus.” 
Wir waren übermütig, zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Grenzen testen wir aus – meine, deine, unsere. “Du bist so hübsch,” sagst du jeden Tag zu mir.
Ich fragte mich, wo dieser Neue ist, von dem Hanna redet. Ist er im Fitness-Studio, der hübsche Blonde da, der jeden zweiten Tag um 17 Uhr trainieren geht, wie ich? Vielleicht doch der andere aus dem Supermarkt? Wo werden wir uns kennenlernen?
Ich habe Schluss gemacht. Natürlich war das nicht ernst gemeint, deswegen kommst du zu meiner Arbeit gefahren und hast diesen Taco-Salat dabei, den ich so gerne mag. Weil das nicht hilft, stehst du morgens vor meiner Haustür mit dem Burger von McDonalds, den ich so mag. Er war schon kalt. Ich nannte dich einen Stalker. Trotzdem schrieb ich dir E-Mails.
“Heute suche ich einen Film aus. Du suchst immer nur Scheißfilme aus.” “Das stimmt nicht”, protestiere ich, “das war nur einmal.” Der Film, den er wählte, war so furchtbar. Ich weiß nur noch dass da Carmen Electra mitspielte. Vermutlich sein Auswahlkriterium. Nachts kann ich nicht schlafen, weil du um 3 Uhr nachts Müsli kaust, im Bett. “Ich hab eben Hunger.”

Eigentlich waren wir nie wirklich zusammen, denke ich. Weiß, dass es wahr ist, so traurig das jetzt klingen mag. Du wolltest nur angeben, ich wollte – ja, was wollte ich eigentlich?
 
 
Du bringst die schlimmen Seiten in mir heraus. Ist das meine Schuld, deine, oder wessen Schuld auch immer? Ich habe Angst vor dir. Zum Schluss. Eifersucht, Kontrolle. Du stellst mich bloß vor deinen Freunden. Ich schäme mich – vor mir, vor uns. Du lässt mich nicht los.
Ich bin ein Meer aus Tränen, so kitschig das klingt, jeden Morgen, wenn ich zur Arbeit fahren. Tränen, Berg hochfahren, Tränen, Bushaltestelle, Tränen, Aussteigen. Wie betäubt sitze ich an meinem PC, beantworte E-Mails und beantworte das Telefon, aber keine Fragen.
In deinem Zimmer liegt schon lange nichts mehr von mir, in deinem Kopf auch nicht. Wer weiß ob du noch da wohnst, überhaupt. So lange schon. Immer mehr Jahre, die dazwischen liegen und ich weiß jetzt immer mehr. So etwas, das passiert mir nicht mehr – ich lerne mich selbst immer besser kennen. 
 
Immer mehr von mir.

 

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22 Kommentare

  • Antworten Kaasja 20. März 2015 um 19:48

    Amazing post my Dear ! <3
    http://kasjaa.blogspot.com/

  • Antworten Saskia von P. 20. März 2015 um 19:57

    Sehr schön!

  • Antworten Ariane 20. März 2015 um 20:14

    Wow, ein fantastischer Text! Wirklich gut geschrieben.

  • Antworten Alessandra Heidelberg 20. März 2015 um 20:21

    Beautiful pictures!
    http://www.alessandrastyle.com

  • Antworten Bearnerdette 20. März 2015 um 20:53

    Wieder ein toller Text. 🙂

    Gruß,
    Bearnerdette

  • Antworten Katarina Ahlsson 20. März 2015 um 21:32

    So wunderschön und einfühlsam geschrieben, ich musste einige Male schlucken. Gefühle können so widerspenstig sein. Man kann sie mit Wörtern umkreisen, aber schwer einfangen. Ein wunderbarer Text.

    Katarina x
    http://katarina-ahlsson.se

  • Antworten Melanie 20. März 2015 um 22:45

    Wunderschöne Bilder <3

    Schau doch mal bei mir vorbei. Ich Veranstalte gerade eine Blogvorstellung mit tollen Giveaways von Rituals!

    http://melanie-delavie.blogspot.de/2015/03/rituals-giveaway.html

    Liebst Mel<3

  • Antworten Anonym 21. März 2015 um 00:24

    Krass gut!!! Bitte mach das Schreiben zu deinem Beruf, du kannst es so wahnsinnig gut! Spannend, fesselnd, in sich stimmig – ich habe jedes Wort verschlungen! Wirklich großes Kompliment an dich für einen wieder mal faszinierenden Text!

  • Antworten Olgsblog 21. März 2015 um 07:53

    Ein sehr schöner Text!

    Wünsche dir ein schönes Wochenende! LG

  • Antworten Limi Coco 21. März 2015 um 08:24

    mehr als wundervoll und poetisch geschrieben…ich war ganz gefesselt von diesen meisterhaften sätzen ;D

  • Antworten Chichi Mizuki 21. März 2015 um 09:21

    Der Text ist einfach der Hammer! Man fühlt mit. Er macht einen traurig, nachdenklich. Ein poetisches Meisterwerk!
    Liebst Chichi <3
    http://urban-and-country.blogspot.de

  • Antworten Iuliana FS 21. März 2015 um 12:56

    Ein wunderbarer Text. so einfühlsam geschrieben <3
    xoxo

    http://fashionablestreets.blogspot.com/

  • Antworten Bluetenschimmern 21. März 2015 um 13:08

    Ein unheimlicher schöner und berührender Text…

  • Antworten Femme Noble 21. März 2015 um 14:24

    Hey ♥
    oh wow, was ein Text…
    Da muss man schlucken beim Lesen…
    Liebe Grüße
    http://www.femme-noble.de

  • Antworten Luise Röming 21. März 2015 um 14:35

    Deine Bilder sehen wirklich wunderschön aus!

    LG Lu

  • Antworten christine polz 21. März 2015 um 15:15

    Ein wirklich guter und sehr nachdenklicher Text. Toll geschrieben!

  • Antworten Joana TheBlondeLion 21. März 2015 um 16:47

    wow… faszinierende Worte hast du mal wieder gefunden!! 🙂

    Liebste Grüße ♥ Joana
    TheBlondeLion

  • Antworten Annika Hö 22. März 2015 um 18:46

    Ein wahnsinnig toller Text, Andrea. Ich habe mich gerade ein bisschen darin verloren und musste an meine erste Beziehung denken.
    Man lernt aus allem, gerade aus den Dingen, die eben nicht perfekt laufen, sondern im Nachhinein eigentlich so verkehrt sind, dass man das doch unmöglich nicht NICHT sehen konnte.
    Alles Liebe,
    Annika

  • Antworten 12mal12 März - heldenwetter 8. Oktober 2018 um 22:46

    […] von schönen, traurigen, spannenden, Mut machenden, herzerwärmenden Geschichten. Meine liebsten: „Immer mehr von mir“, „I can’t commit to a postcode let alone a relationship“ und „Vom Reisen […]

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